Ludwig Freiherr von Vincke: Ein Vordenker Westfalens
Am 23. Dezember jährte sich zum 250 Mal der Geburtstag von Ludwig Freiherr von Vincke; er setzte in Westfalen tiefgreifende Reformen durch und prägte die kommunale Selbstverwaltung.
Die Ahnenreihe der westfälischen Gründerväter ist übersichtlich. Ihre Entstehung verdankte die Provinz Westfalen, die später zum NRW-Landesteil wurde, dem Proporzdenken und der politischen Arithmetik einiger Hinterzimmerdiplomaten, die während des Wiener Kongresses 1813 Europa neu vermaßen. Aus den Überresten untergegangener feudaler Herrlichkeiten, preußischer Besitzungen und verschiedener Kleinstaaten bastelte man am Verhandlungstisch ein neues politisches Gebilde, das die Herren nun Preußen zuschlugen.
An die Spitze der neuen Provinz Westfalen berief der König in Berlin einen bewährten Mann: den Reichsfreiherrn Karl vom Stein, der sich bereits einen Namen als Reformer gemacht hatte. Neben ihm aber kam nun ein zweiter ins Spiel: Ludwig Vincke, Spross einer altadeligen Familie aus Ostwestfalen, der so souverän war, dass er sich das „von“ gelassen schenkte. Adel genügte.
Geboren wurde dieser Ludwig 1774 in der preußischen Festungsstadt Minden, wo der Vater als Domdechant wirkte. Der Stammsitz der Vinckes, die Wasserburg Ostenwalde bei Melle, befindet sich seit dem 14. Jahrhundert im Familienbesitz. Nach der Reformation entschied man sich für die protestantische Glaubensrichtung und damit später auch für Preußen. Der aufgeweckte Ludwig nahm ein Studium der Rechte und Staatswissenschaften auf, das er in Marburg, Erlangen und Göttingen absolvierte. Vor allem die Universität Göttingen galt als Kaderschmiede junger Reformer, und hier wurde wohl auch Vinckes besonderes Interesse an England geweckt.
Ludwig trat in preußische Dienste, denn in dem Staat, den der „Alte Fritz“ hinterlassen hatte, sah er, wie so viele seiner Generation, am ehesten Möglichkeiten der Reform und Erneuerung. Vincke begann 1795 als Referendar und stieg bald auf der Karriereleiter steil nach oben. Man wurde in Berlin und Potsdam auf diesen strebsamen, fleißigen und durchsetzungsfähigen jungen Mann aufmerksam und schickte ihn in den kommenden Jahren innerhalb der Monarchie in verschiedenster Funktion hin und her, ins heimatliche Minden, nach Aurich, Münster und Hamm. So lernte er neben dem Verwaltungshandwerk auch die Wirtschaftsprobleme und Lebensbedingungen der Menschen in den einzelnen Provinzen aus eigener Anschauung kennen. Und: Er unternahm auch immer wieder Reisen, um sich ein eigenes Bild von der Welt zu machen. So 1800 nach Großbritannien und ein Jahr später nach Spanien. Auf dem Weg dorthin machte er Station in Paris und bekam sogar eine Audienz beim Ersten Konsul, Napoleon Bonaparte. Aber das Modell des französischen Zentralstaats beeindruckte ihn sehr viel weniger als das englische; im „selfgovernment“ sah er ein Vorbild für ein künftiges Deutschland.
Die Folgen der Französischen Revolution hatten die europäische Staatsarchitektur in ein Trümmerfeld verwandelt. 1806, nach der dramatischen Niederlage bei Jena und Auerstedt, schien es auch mit Preußen zu Ende zu gehen. Vincke quittierte 1810 den Dienst und heiratete. Seine Auserwählte hieß Eleonore von Syberg, die Tochter eines märkischen Grundbesitzers. Sie brachte neben dem Haus Busch bei Hagen auch die Reste der alten Hohensyburg bei Dortmund mit in die Ehe. Vincke hielt Kontakt mit alten Reformfreunden wie dem Freiherrn vom Stein, der ihn von Beginn an gefördert hatte. 1813 kehrte er in den Staatsdienst zurück. Nun kam es darauf an, aus dem territorialen Flickenteppich namens Westfalen eine funktionierende, moderne Provinz zu formen – eine Sisyphusarbeit, die nicht nur die lange vernachlässigte Infrastruktur und die Weiterentwicklung von Industrie und Landwirtschaft, sondern auch Militär, Bildung und vieles mehr gleichzeitig beinhaltete. Ein kleines Team ambitionierter Reformer machte sich an die Arbeit. Mittendrin: Vincke. 1815 wurde er in Personalunion der erste Regierungspräsident von Münster und Oberpräsident von Westfalen. Zugleich berief ihn der König zum Konsistorialpräsidenten der evangelischen Kirche Westfalens. Also eine dreifache Amtsbürde. Der „Aktenfresser“, der im früheren fürstbischöflichen Schloss residierte, war aber auch ein Mann, der sich weiterhin ein eigenes Bild von den Menschen, Dingen und Problemen machte. Zahlreiche Anekdoten beschreiben Vincke, wie er im abgetragenen blauen Bauernkittel durch die Lande stapfte.
1826 starb seine geliebte Frau, die ihm fünf Kinder hinterließ; ein Jahr später heiratete er erneut. Ein kleines erhaltenes Bild zeigt die Familie in bescheidenem biedermeierlichen Interieur. Ein Aristokrat aus alter Familie, aber frei von jedem Dünkel und Hochmut, ohne Perücke und Schnupftuch. Als Macher und Kümmerer ist er im kollektiven Gedächtnis lange über sein Lebensende hinaus in Erinnerung geblieben, getragen von der Liebe und Achtung aller Bevölkerungsschichten. Westfalen hat diesem besonderen Mann der ersten Stunde viel zu verdanken. Neben dem Generationsprojekt der Bauernbefreiung ist die Städteordnung von 1831, durch die die westfälischen Städte eine einheitliche Verfassung erhielten, sicherlich seine folgenreichste Reform, denn auf ihr basiert noch immer die kommunale Selbstverwaltung. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe verkörpert dieses Prinzip bürgerlicher Beteiligung am politischen Leben hierzulande bis auf den heutigen Tag. Vincke starb 1844 in Münster. Der Vincketurm bei der Ruine der Hohensyburg in Dortmund erinnert an den Reformer, der seine letzte Ruhestätte auf der familieneigenen Erbbegräbnisstätte in der Nähe seines Wohnsitzes Haus Busch in Hagen fand.
Fotos: LWL-Medienzentrum für Westfalen
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