Anerkennung und Hilfe
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) hat frühere Misshandlungen und Missbrauchsfälle in seiner Psychiatrie-Einrichtung für Kinder in Marsberg aufarbeiten lassen. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts wurden der Öffentlichkeit erstmals im Februar 2017 in Münster vorgestellt und liegen seit 2018 auch als Buch vor. Über die Studie „Psychiatrie- und Gewalterfahrungen von Kindern und Jugendlichen im St. Johannes-Stift in Marsberg (1945-1980). Anstaltsalltag, individuelle Erinnerung, biographische Verarbeitung“ sprachen jetzt die Mitglieder des FDP-FW-Fraktionsarbeitskreises Gesundheit beim LWL um ihren Arbeitskreisleiter Dr. Thomas Reinbold mit Chefarzt Dr. Falk Burchard von der LWL-Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Marsberg.
Dabei beschreibt Dr. Buchard die damaligen Bedingungen als äußerst ungünstig, unter denen sich die Verwahrung, Pflege, Therapie, Erziehung, Beschulung und berufliche Ausbildung von Kindern und Jugendlichen mit geistigen Behinderungen, psychischen Erkrankungen und Erziehungsschwierigkeiten vollzogen haben. Die Zeit kann man mit der heutigen Zeit nicht vergleichen. Die notdürftige Versorgung, der Personalmangel, die mangelhafte fachliche Qualifikation des Personals und die Überfüllung der Stationen seien mit Grund dafür gewesen, warum das St. Johannes-Stift seinen Aufgaben als Fachkrankenhaus für Kinder- und Jugendpsychiatrie kaum gerecht werden konnte.
Das St. Johannes-Stift war in der Nachkriegszeit mit zeitweise mehr als 1.100 Jungen und Mädchen die größte westfälische Anstalt ihrer Art. Wie die Untersuchung anhand eindringlicher Interview-Schilderungen von 19 Betroffenen belegt, herrschte dort jahrelang ein autoritäres Regime von Ärzten, Pflegern und Nonnen des Vinzentinerinnen-Ordens. Ergänzt durch Patienten- und Verwaltungsakten beleuchten die Autoren der Studie, die Historiker Prof. Dr. Franz-Werner Kersting vom LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte und Prof. Dr. Hans-Walter Schmuhl von der Universität Bielefeld, die Erfahrungen der Opfer.
Ungeschehen kann man das seinerzeitige Leid nicht machen. Aber der LWL hat sich seiner Verantwortung für die Vergangenheit gestellt. Zum einen alle noch lebenden Opfer für das Unrecht um Entschuldigung zu bitten, das sie in den psychiatrischen Einrichtungen des LWL während des Nationalsozialismus und der Nachkriegsjahre erlitten haben.
Zum anderen hat er maßgeblich seit 2009 an dem „Runden Tisch“ mitgewirkt, der sich mit dem Schicksal der Heimkinder in Westdeutschland beschäftigte. Betroffene, Träger, Wissenschaftler, Verbände, Vertreter des Bundes, der Länder und der Kirchen haben hier dafür gesorgt, dass in der Folge ein Fonds von 120 Millionen Euro aufgelegt wurde. Dieser gleicht Rentenansprüchen aufgrund nicht gezahlter Sozialversicherungsbeiträge aus. Außerdem kann der Fonds Betroffenen Hilfe gewähren, soweit durch die Heimerziehung heute noch Traumatisierungen, andere Beeinträchtigungen und Folgeschäden bestehen und dieser besondere Hilfebedarf nicht über die bestehenden Hilfe- und Versicherungssysteme abgedeckt wird. Parallel zur Errichtung des Fonds Heimerziehung West wurden für Betroffene seit Anfang 2012 regionale Anlauf- und Beratungsstellen in den alten Bundesländern eingerichtet. In Nordrhein-Westfalen sind die beiden Landschaftsverbände Westfalen-Lippe (LWL) und Rheinland (LVR) mit dieser Aufgabe betraut worden.
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