Glashütte Gernheim: UNESCO zeichnet Handwerk aus
Seit einigen Jahren gehört das Glasmachen zum Immateriellen Kulturerbe Deutschlands. Jetzt haben es „Wissen, Handwerkstechniken und Kenntnisse der manuellen Glasfertigung“ auf die Repräsentative Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit bei der UNESCO geschafft und erhalten damit weltweit Anerkennung. Gewürdigt wird das Können von Glasmacherinnen und Glasmachern, die noch heute Techniken anwenden, deren Grundlagen über 2000 Jahre kaum verändert praktiziert werden.
Die Bewerbung war von sechs europäischen Nationen unter der Federführung Frankreichs eingereicht worden. Auf deutscher Seite war das LWL-Museum Glashütte Gernheim in Petershagen (Kreis Minden-Lübbecke) maßgeblich beteiligt. „Als Träger des Museums sind wir stolz, dass die UNESCO diese Handwerkstradition und damit vor allem die Arbeit unserer Glasmacherinnen und Glasmacher in besonderer Weise würdigt“, erklärte Dr. Georg Lunemann, der Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL).
LWL-Kulturdezernentin Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger sieht in der Auszeichnung auch einen Ansporn. „Seit 1998 halten wir in der Glashütte Gernheim die speziellen Techniken der Glasfertigung lebendig. Die Anerkennung ist für uns Motivation, die Fertigkeiten und das Wissen darum in die Zukunft zu tragen.“ Museumsleiterin Dr. Katrin Holthaus nimmt die Verantwortung gerne an: „Wir planen für die kommenden Jahre internationale Projekte, die sich insbesondere an die Praxis richten.“
In den kommenden Jahren werden sich die beteiligten Gruppen intensiv der Entwicklung von Erhaltungsmaßnahmen widmen. Nationale und internationale Workshops tragen ebenso dazu bei wie Ausstellungen und Konferenzen. Hier zeichnet sich die neue Funktion der Museen ab, deren Engagement zur Erhaltung der manuellen Glasherstellung in der Bewertung der UNESCO ausdrücklich hervorgehoben wurde. Darüber hinaus zeigte sich das Expertengremium von der Verbindung von materiellem und immateriellen Erbe beeindruckt: Viele der beteiligten Hütten befinden sich in denkmalgeschützten Anlagen und sichern dadurch deren Erhalt und den industriekulturellen Kontext der Glasproduktion.
Im LWL-Museum Glashütte Gernheim arbeiten gegenwärtig drei Glasmacher und eine Glasmacherin im 200 Jahre alten Glasturm des ehemaligen Fabrikortes. Das Glasstudio zählt damit zu einer der wenigen noch existierenden Manufakturen dieser Art in Deutschland. Das LWL-Museum kooperiert international mit Glashütten, Kunstschaffenden und Museen.
Bereits 2015 wurde die „manuelle Fertigung von mundgeblasenem Hohl- und Flachglas“ in das deutsche Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Diese Einschreibung, die durch die Glashütte Lamberts, das Museum Baruther Glashütte und das LWL-Museum Glashütte Gernheim verfasst wurde, war Voraussetzung für die Bewerbung um Aufnahme in die Repräsentative Liste.
In der Folge dieser Anerkennung bildete sich bereits 2016 ein nationales und internationales Netzwerk, in dem sich Glasmacherinnen und Glasmacher, Glashütten und -museen zusammenschlossen. Organisatorisch war dieses Netzwerk bei der Glashütte Gernheim angesiedelt. Im Jahr 2017 konnten die Beteiligten der UNESCO ihre Bitte vortragen, in die Repräsentative Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen zu werden. Unter Federführung von Frankreich entwickelten Vertreter und Vertreterinnen aus Deutschland, Finnland, Spanien, Tschechien und Ungarn die nun eingereichte gemeinsame Bewerbung. Ihr Ziel ist die Bewahrung der manuellen Glasfertigung in ihren nationalen Ausprägungen. Durch gemeinsame Projekte, Wissensaustausch und Forschungsarbeit werden sie in den kommenden Jahren das Wissen der manuellen Glasfertigung sichern und vor allem die Praxis stärken.
Seit 2003 unterstützt die UNESCO den Schutz, die Dokumentation und den Erhalt von Kulturformen, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. 430 Bräuche, Darstellungskünste, Handwerkstechniken und Naturwissen aus aller Welt sind derzeit von der UNESCO als Immaterielles Kulturerbe anerkannt, darunter der Tango aus Argentinien und Uruguay, die traditionelle chinesische Medizin und die italienische Geigenbaukunst. Bis heute sind 171 Staaten dem UNESCO-Übereinkommen zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes beigetreten. Deutschland ist seit 2013 Vertragsstaat.
Zum Immateriellen Kulturerbe zählen lebendige Traditionen aus den Bereichen Tanz, Theater, Musik, mündliche Überlieferungen, Naturwissen und Handwerkstechniken. Formen Immateriellen Kulturerbes sind entscheidend von menschlichem Wissen und Können getragen. Sie sind Ausdruck von Kreativität und Erfindergeist, vermitteln Identität und Kontinuität. Sie werden von Generation zu Generation weitergegeben und immer wieder neu gestaltet.
Fotos: LWL / Hudemann / Holtappels
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